Erfahrungsbericht aus der Trauerbegleitung

Trauer braucht Zeit

Obwohl mein Mann eineinhalb Jahre vor seinem Tod eine sehr schlimme und wenig aussichtsreiche Krebsdiagnose bekam, war der Todestag überraschend. Nicht, weil ich nicht damit rechnete, sondern weil es für mich unvorstellbar war, wie es ohne meinen Mann weitergehen sollte. In dieser Zeit stand für mich hauptsächlich im Vordergrund, zu funktionieren. Nur keine Emotionen vor meinem Mann und den Kindern zeigen und schon gar nicht den Gedanken zulassen an „was wird wenn…“!

Das Atmen hörte auf. Was blieb, war eine unbeschreibliche Stille. Niemand traute sich, etwas zu sagen. Nach der Starre kam die Erkenntnis, dass nichts mehr zu ändern ist. Das schon gut bekannte Funktionieren war wieder da. Die Zeit zwischen Tod und Bestattung war für mich, als ob ich mich in einer anderen Welt bewege. Sobald ich nach draußen ging, schien um mich herum alles normal. Ich stellte mir die Frage, wie das denn sein könne. Alles läuft weiter, obwohl mein Mann gestorben ist…?! – Unfassbar!

Der Alltag war sehr kraftaufwendig und zeitweise ein Wechselbad zwischen Funktionieren und den immer wieder abschweifenden Gedanken: „Das muss ich heute Abend zu Hause erzählen (……………).“ Das Nachhausekommen war in den ersten Wochen schwer. Das Fehlen des geliebten Menschen wurde immer präsenter. Vieles musste getan werden — Versicherungen abmelden, umschreiben. Mit jeder Ab- oder Ummeldung kam bei mir das Gefühl hoch, dass immer ein Stück mehr meines Mannes wegfällt.

Auch nur das Öffnen des Briefkastens fiel schwer. Fast täglich kam Post. Und das bedeutete immer, dass etwas zu erledigen oder alleine zu entscheiden war.
Irgendwann musste ich den Gedanken zulassen, das Grab zu gestalten. Das hatte ich lange vor mir hergeschoben. Wie sollte es aussehen? Heller oder dunkler Stein? Welche Schrift? Was hätte meinem Mann gefallen? Ich hatte keine Ahnung, weil wir uns nie darüber unterhalten hatten und weil es ganz einfach nicht das war, was ich tun wollte. Irgendwann entstand ein Bild in meinem Kopf. Jetzt musste ich den nächsten Schritt tun und einen Steinmetz suchen. Ich hatte Glück und wurde sehr gut und mit Bedacht beraten. Schließlich war der Tag da, an dem das Grab fertig war. Davor zu stehen, ist mit Worten kaum zu beschreiben. Es machte die Endgültigkeit noch bewusster.

Nachdem Weihnachten, Silvester und der fünfzigste Geburtstag meines Mannes irgendwie bewältigt waren, sollte es doch besser werden – dachte ich. Nein, im Gegenteil: Es fiel einiges an Anspannung von mir ab und ich fing an zu trauern. Ich hatte erfahren, dass es beim HospizVerein Hilfe in Form von Trauerbegleitungen gab. Dort meldete ich mich und bekam auch schnell einen Termin. Sich einem Außenstehenden mitteilen zu können, kein Mitleid, aber Mitgefühl zu erfahren, war sehr wohltuend. Das Zuhören ohne Bewertung und doch mit kleinen Impulsen war sehr wichtig für mich. Heute kann ich das als ersten Schritt zurück ins Leben sehen.

Der zweite große Schritt war eine Trauerreise, bei der ich Frauen kennenlernte, die genau wie ich ihren Partner verloren hatten.
In die Zeit meiner Trauerbegleitung fielen Tage wie der Hochzeitstag, der erste Todestag, mein Geburtstag. Gerade an diesen Tagen habe ich die Begleitung als große und auch sehr liebevolle Unterstützung empfunden.
Die ersten Tage und Wochen nach dem Tod meines Mannes waren geprägt davon, dass ich funktionieren musste. Es war viel zu erledigen, zu regeln. Die Angst vor dem Alleinsein und alles alleine entscheiden zu müssen, standen im Vordergrund. Die Gefühle fuhren Achterbahn – weinen und lachen mit der Frage „Darf ich das?“ Und immer wieder die verzweifelte Frage nach dem „Warum?“.

In den nächsten Monaten war jeder Tag der erste ohne meinen Mann. Häufig kamen Fragen auf. Wie hätten wir diesen Tag zusammen verbracht? Wie hätte er in bestimmten Situationen reagiert? Über was hätten wir noch reden müssen oder sollen? Was wäre noch zu klären gewesen?
Das war zeitweise sehr zermürbend, weil die Fragen weder beantwortet, noch geklärt werden konnten. Ich war auf mich gestellt und musste irgendwie alleine weiterleben.

Als das erste Jahr vorbei war, kam bei mir die Frage auf, ob es denn jetzt leichter wird. Das ist ganz klar zu beantworten: nicht schlagartig. Rückblickend kann ich sagen, dass es noch eine ganze Zeit lang dauerte, bis sich die Gedanken veränderten, bis Dinge in den Vordergrund traten, die nicht direkt mit meinem Mann zu tun hatten. Wohl aber mit meiner Trauer. Ich fing an zu hinterfragen, wer denn in den letzten Jahren unterstützend für mich da war – Freunde, Verwandte…? Dieses vorsichtige Sortieren war für mich ein weiterer wichtiger Schritt, um nach vorne blicken zu können.

Oftmals hört man als Trauernder: „Melde dich, wenn du mich brauchst“. Das sind sicher gut gemeinte Aussagen, die aber wenig hilfreich sind. Es fehlt gerade in der ersten Zeit der Trauer die Kraft, sich bei anderen zu melden, und man ist darauf angewiesen, dass andere das tun. Durch mein Sortieren haben sich einige Beziehungen grundlegend verändert. Zu manchen besteht inzwischen wenig oder kein Kontakt mehr. Dafür sind neue – mir sehr wertvolle – Freundschaften entstanden.

Der Todestag meines Mannes jährt sich im August zum sechsten Mal. Im Laufe der Jahre veränderte sich die Trauer. Sie ist noch immer da – nicht mehr so präsent, nicht mehr im Vordergrund. Trotzdem kommt sie immer mal wieder um die Ecke an bestimmten Tagen, manchmal nur für einen Augenblick. Die Gedanken an meinen Mann sind leichter. Wo am Anfang sofort Tränen waren, ist jetzt schon auch mal ein Lächeln oder ein Schmunzeln.

Durch meine eigene Trauer ist es mir gelungen, mich mit der Möglichkeit auseinanderzusetzen, selbst die Qualifizierung zur Trauerbegleiterin zu machen. Seit drei Jahren bin ich ehrenamtliche Trauerbegleiterin beim HospizVerein Bergstraße.

Text: Angelika Kaltenbach